Wurscht, wer den Gummi verkauft

Wurscht, wer den Gummi verkauft

Der Reifenhandel ist seit Jahren in einer veritablen Krise. Was die Erträge aus dem Reifenverkauf betrifft, sind die Zukunftsprognosen düster. Der regionale Reifenspezialist, der seine Dienstleistung verkaufen kann, wird hingegen noch lange Zeit gebraucht.

VRÖ-Schriftführer Herbert Wadel hat beim VRÖ-Reifentag in Salzburg einen vielbeachteten, emotionalen Vortrag zur Einleitung der Podiumsdiskussion mit der Reifenindustrie gehalten. Der Teil mit "Früher war alles besser", gefiel den anwesenden Reifenfachhändlern: Wer erinnert sich nicht an die goldenen Wachstumszeiten der Branche, als der Reifenhandel der verlängerte Arm der Industrie war. Mit großzügigen Margen. "Zur Kundenbindung hat man damals das Service hergeschenkt", weiß Karl-Heinz Wörle, langjähriger Chef von Profi- Reifen in Österreich.

Doch der Wettbewerb ist enger geworden, die Erträge sehr dünn. Ein Schicksal, das der Reifenhandel mit fast allen anderen Branchen teilt. "Mit den heutigen Margen aus dem Handel ist die Infrastruktur nicht mehr zu finanzieren", ergänzt Wörle. Dass die goldenen Zeiten vorüber sind und man sich den neuen Herausforderungen stellen muss und bereits stellt, ist natürlich sowohl Wadel wie auch den meisten anderen Reifenhändlern klar. Dennoch soll die Industrie massiv zur Verbesserung der Situation beitragen. Die Unterstützungen und Lösungen, die der Reifenhandel zum Thema Logistik, Margen, Einkaufspreise fordert, sind gerechtfertigt undin einer Partnerschaft natürlich legitim.

Die Frage ist allerdings, ob sie erfüllt werden von einer Industrie, die naturgemäß nur in Volumen denkt und in der die Ergebnisse nur bis zum Quartalsabschluss zählen. Das soll nicht schwarzmalend klingen, aber wie schon im Vorwort dieses Reifen-Extra angeführt: Die angesprochenen österreichischen Konzernrepräsentanten dürfenimmer weniger Entscheidungen treffen.

Das Internet geht nicht mehr weg

Zur weiteren Zukunft gibt es verschiedene Fakten: Das Internet geht nicht mehr weg und wird seinen Siegeszug auch im Reifenhandel fortsetzen. Ja, die Industrie versucht, die Online-Preisschleuderei in den Griff zu bekommen. SolangeÜberangebote den Markt überschwemmen, ist der Abverkauf über die Internetriesen die Realität. Mit einigen neuen Europa-Werken diverser Hersteller ist hier mittelfristig keine gegenteilige Entwicklung zu erwarten. Die Margen und Erträge in der früheren Form kommen nicht mehr zurück.

Aber es gibt auch eine gute Nachricht: Trotz verschiedener (Online-)Vertriebskanäle gibt es keine Alternative zur regionalen Reifenmontage. Letztlich ist es egal, wer an dem Verkauf des Reifens zukünftig (nix) verdient. Entscheidend ist, wer ihn montieren darf und dafür Geld verlangen kann. Denn die Dienstleistung muss etwas kosten.

Beispielsweise verkauft der Installateur den Ersatzteil oft auch nicht mehr direkt, weil der Kunde selbigen aus dem Internet oder aus dem Baumarkt besorgt. Die Dienstleistung, die Arbeitsstunde hat dort aber ihren Preis. Auch in der Werkstätte weiß der Kunde, dass die Technikerstunde selten unter 100 Euro kostet. Und beim Reifenhandel, wo die Mitarbeiter ebenfalls sehr qualifiziert sein müssen, soll die Dienstleistung (fast) dazu geschenkt werden?

Komplexes Reifenthema hilft Spezialisten

Die Entwicklung spricht für die Spezialisten: Spezielle Reifen-Spezifikationen für Marken und Modelle, schwer zu montierenden Dimensionen und Runflat-Reifen sowie seit Kurzem das verpflichtende Reifendruckkontroll-System: Der Reifendienst, früher von jeder kleinen Tankstelle zu erledigen, wird mehr und mehr zur Hightech-Aufgabe. Heimarbeit ist spätestens mit RDKS Geschichte.

All das sind Anforderungen, die nur der Reifenspezialist vor Ort erfüllen kann. Kein Fahrzeugbesitzer fährt mehr als eine halbe Stunde, nur um Reifen montieren oder umstecken zu lassen. Regionale Betreuung ist das Kernbusiness und ein Geschäft, dass nur der regionale Fachmann durchführen kann. Reifendienstleistung ist das Stichwort. Der einzige echte Konkurrentfür den regionalen Reifenspezialisten ist das Autohaus. Und auch das kann vielleicht wieder stärker zum (Kooperations-)Partner werden.

Auch E-Autos brauchen Reifen

Selbst die rasante technologische Weiterentwicklung des Automobils wird - im Vergleich zu anderen Kfz-Dienstleistern - am lokalen Reifenservice nichtsändern. Die Elektrifizierung des Autos bringt zum Beispiel massive Einbußen für das mechanische Servicepotenzial und damit für die klassische Werkstätte. Assistenzsysteme und autonomes Fahren reduzieren die Unfallhäufigkeit und damit das Potenzial für die Karosseriebetriebe. Reifen wird hingegen auch das autonom fahrende Elektroauto brauchen. Vermutlich wird es die nötigen Pneus selbst online bestellen. Aber montieren wird diese mit Sicherheit ein Montagepartner vor Ort.

Wer jetzt beginnt, sich vom Reifenhändler, der von der Verkaufsmarge abhängig ist, zum Reifenspezialisten zu entwickeln, der hauptsächlich seine Dienstleistung verkauft, wird auch in der Zukunft seine Existenzberechtigung haben.