"Die Kleinen werden immer weniger"

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"Die Kleinen werden immer weniger"

Von 1973 bis 2002 war Prof. Dr. Jürgen Creutzig Geschäftsführer des deutschen Kfz-Gewerbeverbands ZDK, von 2001 bis 2010 stand er an der Spitze der europäischen Branchenvereinigung CECRA: Im Interview mit "AUTO&Wirtschaft" analysiert der renommierte Jurist, warum sich der Markenhandel derzeit in einer außerordentlich schwierigen Lage befindet.

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A&W: Der Autohandel ist mit einer schleichenden Strukturbereinigung konfrontiert. Wie schätzen Sie die Überlebenschancen kleinerer Firmen ein?

Prof. Dr. Jürgen Creutzig: Seit Jahren gibt es die Tendenz, dass die Kleineren immer weniger und die Großen größer werden. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Besonders der mittelständische Autohandel wird betroffen sein. In Deutschland sind dies Markenbetriebe mit unter 400 Neuwagenverkäufen pro Jahr. Sie sollten überlegen, ob sie den Vertrieb abgeben, denn der kostet nur und wird meistens quer subventioniert.

Gerade diese Betriebe sollten an die Herausforderungen der Zukunft denken: Sie beginnen im digitalen Zeitalter mit dem Onlineverkauf und enden noch nicht mit dem selbstfahrenden Auto. Der etablierte Handel muss aufpassen, dass nicht Dritte das Geschäft machen.

In manchen Ländern gibt es bereits "Megadealer". Wird sich dieser Trend europaweit fortsetzen?

Creutzig: Ja. Entscheidend wird sein, dass diese Betriebe im Gegensatz zu heute nicht das Fabrikat, sondern ihr Autohaus als Markenzeichen herausstellen. Der Hersteller wird nur die zweite Geige spielen. Davon können sich übrigens auch die mittelständischen Betriebe etwas abschauen: Jeder Händler sollte seinen Kunden ein ganz spezielles Nutzenversprechen geben -etwas, das der Kunde nur bei ihm erhalten kann.

Teilen Sie die Einschätzung, dass die Europäische Kommission in den vergangenen Jahren einseitig zulasten der Markenhändler und zugunsten der Hersteller entschieden hat?

Creutzig: Die Kommission ist nicht unser Freund. Sie war es nie, auch zu Zeiten der Kfz-GVO nicht. Doch gab es damals Entscheider in Brüssel und im Europaparlament, die den Wettbewerb geschützt haben -und damit zwangsläufig auch den Handel mit oder ohne Markenbindung. Dann kamen neue Beamte und mit ihnen die Abschaffung der Kfz-GVO. Inzwischen hat man den Eindruck, dass dieser Schritt bereut wird. Aber man traut sich nicht, denFehler zuzugeben, geschweige denn zu korrigieren.

Orientieren sich große EU-Länder wie Deutschland oder Frankreich bei der Beurteilung der Kfz-Branche zu sehr an den Herstellerinteressen?

Creutzig: Die großen Länder sind zweifellos zu herstellerlastig. Kleinere Länder sind nicht selten Motor für Europa, beispielsweise ist Österreich mit dem gesetzlichen Investitionsschutz vorangegangen. Er regelt den Ersatz nicht amortisierter Investitionen für alle "gebundenen Unternehmer" und selbstständigenHandelsvertreter, also nicht nur für das Kfz-Gewerbe. Damit wurde ein erster großer Durchbruch erzielt. Allein die Tatsache, dass dieses Gesetz existiert, hat dazu geführt, dass faire Lösungen erreicht werden konnten. Dann folgte das Kraftfahrzeugsektor-Schutzgesetz. Ein vollwertiger Ersatz derKfz-GVO ist das Gesetz zwar nicht, aber zum ersten Mal hat ein EU-Land die Schutzbedürftigkeit der Händler und Werkstätten aus Gründen des Wettbewerbs anerkannt. Allerdings -so hilfreich diese Lösungen für die betroffenen Länder sind, so bedauerlich ist der "Flickenteppich Europa."

Gibt es Chancen, den Kfz-Herstellern auf europäischer Ebene nach Vorbild der USA den Einzelhandel und somit die Konkurrenzierung ihrer Franchisenehmer zu untersagen?

Creutzig: Nein. Die Regelung in den USA beruht auf einer langen historischen Tradition und ist nicht auf Europaübertragbar. Das hat die Generaldirektion Wettbewerb Anfang 2016 der CECRA wieder einmal sehr deutlich gesagt. Im Übrigen bröckelt in den USA die erzwungene "Enthaltsamkeit" der Hersteller vom Vertrieb, auch dort geht der Wandel hin zu zunehmenden Direktverkäufen.

Wo sehen Sie konkrete Ansätze, um die Situation des Markenhandels zu verbessern?

Creutzig: Hier hilft nur eine Doppelstrategie. Auf der einen Seite steht der Kampf um bessere Konditionen in Brüssel, sodass der vorerwähnte "Flickenteppich" geschlossen wird -aktuell zum Beispiel beim freien Zugang zu Daten, für den in den nächsten 12 bis 18 Monaten die Weichen gestellt werden. Zugleich ist aber auch eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Herstellern und den Händlerverbänden bei deneinzelnen Fabrikaten nötig. Die Stärke des Markenhandels ist seine Individualität. Tüchtige Unternehmer sind eben keine Mitläufer, sondern Eigengewächse. Dies ist aber auch seine Schwäche: Zersplitterung ist nicht selten. Sie erleichtert es der Politik in Brüssel wie auch den Herstellern, die Händler gegeneinander auszuspielen.

Was soll konkret geschehen?

Creutzig: Eine Stärkung der CECRA als zentrale Interessenvertretung in Brüssel sowie die Stärkung jedes einzelnen Händlerverbands sind dringend erforderlich. Die Händler müssten froh sein, dass sich immer wieder Kollegen finden, die trotz des undankbaren Jobs Fabrikatsarbeit leisten. Ihr Job ist undankbar undsie befinden sich zwischen Baum und Borke, weil häufig die Markenkollegen zu Unrecht behaupten, ihre Interessenvertreter seien vom Hersteller gekauft, andererseits aber Hersteller in erfolgreichen Händlervertretern Gewerkschafter sehen und sie ablehnen. Wenn Individualisten abseits ihres Händlerverbandes stehen, schwächen sie in Wahrheit sich selbst und ihr Unternehmen.

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