Ausverkauf der Reifenbranche?
Die Reifenindustrie ist mit der aktuellen Situation ebenso unzufrieden wie die Reifenhandelsbetriebe. Im Gegensatz zu den Gewerbe-und Handelsbetrieben fährt die Industrie jedoch noch immer gute Gewinne ein und möchte den Handel stärker kontrollieren.
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Nachdem die Industrie vor vielen Jahren gescheitert ist, bestehende Reifenfachbetriebe zuübernehmen, wird nun ein neuer Versuch gestartet. Wie in der Autoindustrie haben die Konzernmanager gelernt, dass Filialen mit angestellten Filialleitern oft nicht erfolgreich sind. Viel besser ist die Bindung des bestehenden Unternehmers, Stichwort "Franchise". Aber auch andere Formen als Konzept-oder Handelspartner sind im Aufwind. Ob diese Bindungen gut oder schlecht sind, ist vom jeweiligen Konzept und vor allem vom jeweiligen Nutzen für den Reifenfachbetrieb abhängig.
Beginnen wir bei der Komplettübernahme. In schwierigen Zeiten hoffen manche Unternehmer auf die Erlösung durch die Industrie. Doch gerade jene Betriebe, die das Exit-Szenario aus der Not heraus anstreben, haben die uninteressantesten (defizitären) Betriebe. Attraktiver sind jene Unternehmen, die gut gewirtschaftet haben, aufeinem guten Standort positioniert sind und mangels eines Nachfolgers ihren Betrieb verkaufen möchten. Die deutsche Vergölst-Gruppe, Tochter von Continental, widmet dem Thema eine eigene Internetseite mit dem Titel "Ihr Betrieb in sicheren Händen". Auch die österreichische Conti-Tochter Profi Reifen übernimmt noch Betriebe, jüngstes Beispiel ist die Übernahme von Reifen Becker in Krems, der mangels eines Nachfolgers den gut eingeführten Betrieb mit bestem Standort verkauft hat.
Franchise-Nehmer oder Konzeptpartner
Trotz einiger Beispiele ist dieÜbernahmeflut in Österreich (noch) nicht stark erkennbar. Topografie, Betriebs-und Einzugsgebiete und damit das Mengengerüst stellen sich ganz anders dar als in Deutschland. Doch auch mit Franchise-oder Partner-Konzepten kann die Industrie den Betrieb stärker auf ihre eigene Marke einschwören.
Die Michelin-Tochter Euromaster hält sich mittlerweile mit eigenen Filialen zurück und setzt stark auf Franchise-Partner. Darüber hinaus gibt es 200 Michelin-Qualitätspartner in Österreich.
First Stop, das Partnernetzwerk von Bridgestone hat inÖsterreich ausschließlich selbstständige Partner, in Deutschland gibt es bereits 47 eigene Betriebe. Das Hankook-Master-Programm umfasst mittlerweile 400 eigenständige Betriebe in Deutschland und Österreich. Bei Pirelli firmiert das wachsende Partnerprogramm unter dem Namen Key Point.
Nokian hat mit seinem Franchise-Konzept Vianor international bereits 1.100 Verkaufsstellen, inÖsterreich noch keine. Das Partnerkonzept Nokian Tyres Authorized Dealer (NAD) ist bereits in Österreich aktiv.
Skepsis unterÖsterreichs Reifenbetrieben
Die Bestrebungen der Industrie werden von der Branche mit Skepsis betrachtet. Dass die industrienahen Betriebe, egal ob im Besitz des Konzerns, als Franchise-oder Partner-Unternehmen bevorzugt werden, ist kein Geheimnis. Es liegt ebenfalls auf der Hand, dass diese Betriebeüber Marketingstützung gefördert werden können und damit eine Wettbewerbsverzerrung stattfinden kann.
Die Frage ist, was mit den verbleibenden freien Betrieben hinsichtlich der Zusammenarbeit mit diesen Marken passiert? Konzentrationsprozesse sind immer problematisch. Der Versuch der Industrie, den momentan sehr turbulenten Markt wieder stärker in den Griff zu bekommen, ist zumindest nachvollziehbar, der Erfolg bleibt abzuwarten.
Fest steht, dass für gänzlich freie Betriebe das Überleben schwer bis unmöglich werden wird. Die Frage ist, welche Bindung oder Kooperation notwendig sein wird. Muss man seinen Betrieb an einen Hersteller verkaufen und Geschäftsführer im eigenen Haus sein? Ist das durchaus enge Korsett eines Franchise-Systems mit einer gewissen Ertragssicherheit sinnvoll. Sind starke, unabhängige Einkaufsgemeinschaften wie Point-S der flexiblere Weg in die Zukunft? Oder gibt es genug Potenzial, wenn man sich als Mobilitätsanbieter inklusive Reparatur und Service in seiner Region positioniert? Die Antwort muss jeder fürsich selbst und seinen Betrieb entscheiden.