Die Mühlen mahlen ungewiss

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Die Mühlen mahlen ungewiss

Ferdinand Piëch formte seine Strategien häufig nach einer Art Doppelmühle. Das erlaubte ihm, mit einer langfristigen Hartnäckigkeit seine Ziele zu verfolgen. Ob er sich tatsächlich verzockt hat oder neuerlich eine Zwickmühle schmiedet, wird die Zukunft zeigen.

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Seit der Führungskrise bei Volkswagen hat der VfL Wolfsburg lange Zeit kein Spiel mehr gewonnen. Dem Aus in der Europa League folgte das Scheitern in der Bundesliga im Kampf um die Meisterschaft, ehe man letztlich wenigstens noch das Endspiel im DFB-Pokal erreichte. Doch am Samstag, den 25. April 2015, gab es ohnedies nur ein Stadtgespräch: den Rückzug von Ferdinand Piëch und seiner Frau Ursula aus dem Aufsichtsrat.

Damit endet (vorläufig?) die jahrzehntelange Ära Piëch, in der der VW-Konzern aus einer Mitläuferposition auf dem Automarkt zur Nr.1 in Europa gemacht wurde und aktuell den Weg zur Nr.1 auf dem Weltmarkt beschreitet. Piëchs dürre Worte von der "Distanz zu Winterkorn" lösten Mitte April ein Erdbeben aus - festunterstützt durch gezielt lancierte, mediale Attacken gegen Piëch, nachfolgende außerordentliche Präsidiumssitzungen in Salzburg und eine Woche später in einem Nebenraum am Flughafen Braunschweig.

Lob und Tadel

Mit Piëchs Rücktritt am Spätnachmittag des 25. April wandelte sich die Berichterstattung augenblicklich in Lobreden zu den außerordentlichen Verdiensten des VW-Konzernlenkers, dem auch salbungsvolle Worte aus der Porsche-Familienecke folgten.

Zur Gedankenstütze: Piëch hat in seiner 43-jährigen Karriere in der Volkswagen AG das Unternehmen aus der norddeutschen Tiefebene in den Olymp der Automobilhersteller geführt. Er hat Audi aus einer biederen Mittelklassemarke zu einer höchst erfolgreichen Premiummarke geformt. Er hat durch seine - zu Beginn vom Wettbewerb belächelte -Mehrmarkenstrategie eine unglaubliche Spreizung des Angebots umgesetzt und aus der darauf resultierenden Plattformstrategie modulare Baukasten initiiert, die den Volkswagen-Konzern befähigen dürften, künftig wesentlich preiswerter zu produzieren als jeder andere Wettbewerber. Auch die Lkw-Allianz mit MAN und Scania geht auf seine Initiativen zurück. Piëch war immer der Architekt, Martin Winterkorn in den letzten Jahren stets sein Baumeister.

Selbstbewusstsein gestärkt Wolfsburg, bei seinem Amtsantritt eine höchst provinzielle Stadt, die im Rhythmus der Schichten lebte und zu deren Besonderheiten die vielen freilebenden Karnickel in den Parks gehörten, wurde durch die grandiose Autostadt geadelt und zu einem Besuchermagnet der Extraklasse. Niemand hat so sehr zum Selbstbewusstsein der VW-Werker beigetragen wie das Wirken von Piëch. Ursula, die Frau an seiner Seite, war in der Gesellschaft durch ihre Offenheit und Freundlichkeit das genaue Gegenstück zum stets wortkargen Piëch.

Er verstand es in seiner Doppelrolle als Vorstandsvorsitzender (und später Aufsichtsratsvorsitzender) der Volkswagen AG und seiner Zugehörigkeit zur Großfamilie Porsche-Piëch -als Miteigentümer der Porsche-Unternehmen in Salzburg und Stuttgart -ganz genau zu unterscheiden. Keine Entscheidung, die auch nur den Geruch einer Begünstigung enthielt.

Als sich die Porsche Automobil Holding SE, Stuttgart, mit derÜbernahme des größeren Volkswagenkonzerns verzockte und im Frühjahr 2009 vor der Pleite stand, sprang die Volkswagen AG ein und erwarb den Sportwagenhersteller und das Parade-Handelsunternehmen, die Porsche Holding in Salzburg. Die Porsche Automobil Holding SE blieb so mit 50,76 Prozent Mehrheitseigentümer der Volkswagen AG.

Zu Piëch, der seit 2002 als Aufsichtsratsvorsitzender der Volkswagen AG dieses Mandat innehatte, kamen aufgrund des Besitzstandes an Volkswagen-Aktien weitere Mitglieder der Familien Porsche (Wolfgang Porsche, Oliver Porsche) und Piëch (Hans-Michel Piëch und Ursula Piëch) sowie auch das Emirat Katarin das oberste Aufsichtsorgan des Volkswagen-Konzerns.

Die Volkswagen AG hatte von da an jene stabile Aktionärsstruktur, bei der die Großfamilie Porsche und Piëch als industrielle Hauptaktionäre das meiste Gewicht bei allen Entscheidungen hatte.

Machtverlust durch Rollenaufgabe?

Diese Rolle hat die Familie am 25. April aufgegeben. Durch die Uneinigkeit in der Frage des Verbleibs von Winterkorn hat sich die Familie selbst aus dem Spiel genommen. Denn die Entscheidung wurde letztlich nicht im Familiengremium getroffen -wo bisher alle relevanten Entscheidungen abgesegnet wurden -, sondern im Präsidium des Volkswagen-AG-Aufsichtsrates, wo Wolfgang Porsche gegen Ferdinand Piëch stimmte. Es ist müßig darüber zu sinnieren, ob die Entscheidung über den Verbleib oder Nichtverbleib von Winterkorn durch eine geschlossene Haltung der Hauptaktionäre zu erreichen gewesen wäre.

Klar ist auch, dass Piëch durch sein Schweigen nicht zur Aufhellung beigetragen hat, sondern einen medialen Gegenwind geradezu provozierte. Piëch war nie einer, der viel erklärte. Um einen früheren Gefallenen zu zitieren: "Piëch spricht Todesurteile durch Schweigen aus." Diesmal ließ ihn das Gremium nicht gewähren.

Vielleicht auch deshalb, weil die Kritik am laschen US-Geschäft und dem jahrelangen Unvermögen, ein Billigauto für die Märkte Indiens, Südostasiens und auch Europas auf die Räder zu stellen, angesichts der herrschenden Jubelstimmung über den Erfolg 2015 nicht dazu passte.

Gelebter Zentralismus

Die Kritik an der geringen Umsatzrendite der Kernmarke Volkswagen dürfte aber unter die Haut gegangen sein. Denn Kritik an der Marke Volkswagen ist gleichbedeutend auch mit der Kritik an der Effizienz am Standort Wolfsburg. Das führte zur sofortigen Allianz zwischen dem Betriebsrat und dem Land Niedersachsen, die sich ja schon allein gegen den Begriff des Kostensparens zur Wehr setzten. "Effizienz-Steigern" musste das heißen -und wurde so auch wortreich argumentiert.

Auch der Zentralismus, der in Wolfsburg immer fröhlich wuchert, wurde vom Betriebsrat gehegt. Der Weltkonzern, so der Betriebsratsobmann, vertrage "Dezentralismus so viel als möglich, Zentralismus so viel wie notwendig". Schöne Worte. Es ist aber Fakt, dass jede Schraube und jedes Blatt Papier in Wolfsburg für die insgesamt 600.000 Beschäftigten entschieden wird. Die Unfähigkeit, am US-Markt zu reüssieren, wurzelt in diesem Weltmittelpunkt-Denken.

Die oben angemerkte Allianz ist jedenfalls ein Rückfall in die lange vergessen geglaubte Zeit, als Wolfsburg dahinschlummerte und den internationalen Marktbedarf nach den auf Wolfsburgs Straßen sichtbaren Fahrzeugen bemessen hat.

Hartnäckiger Stratege

Zurück zu Piëch, der in all seinen Jahren seine Strategien nach einer Art Doppelmühle entwickelte. Er konnte immer eine Mühle offen halten, so lange es ihm beliebte. Das erlaubte ihm, mit einer langfristigen Hartnäckigkeit seine Ziele zu verfolgen. Die Mühle schnappt irgendwann zu. Ob es ihm auchnach dem Rücktritt am 25. April gelingen wird, bleibt zumindest offen.

Ein liebenswürdiger alter Herr wird Piëch mit seinem Rücktritt vom aktuellen Geschehen gewiss nicht mehr werden. Schwer vorstellbar auch, dass er seine Enkel und Ur-Enkel auf den Knien schaukelt. Er hat Benzin im Blut. Er ist einer der Hauptaktionäre. Er war auch immer der Hauptakteur. So einer resigniert nicht.

Beim VfL Wolfsburg, der in der Qualifikation zur Champions-League antreten wird, werden die internationalen Spiele der nächsten Monate zeigen, wie erfolgreich und fit die Spieler sind: in der Volkswagen-Arena und im benachbarten Hauptquartier der Volkswagen AG. (RED)

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